HINTERGRUND



 

Fast 90% aller Deutschen besitzen ein Handy, 75% nutzen das Internet, die Deutschen versenden im Jahr 500 Milliarden E-Mails: Geheimdienste missbrauchen die rasant fortschreitende Digitalisierung zur heimlichen und weitgehend anlasslosen Massenerhebung personenbezogener Daten. Es geht um die Kontrolle der Bevölkerung, politische Macht, Profit und um Wirtschaftsspionage.


Der berechtigte Wunsch der Bürger nach Sicherheit darf nicht den Blick darüber verstellen, dass eine absolute Sicherheit nicht gewährleistet werden kann. Jede weitergehende Sicherheitsmaßnahme schränkt aber unsere persönliche Freiheit ein. Hier sind die politischen Gremien und staatliche Sicherheitsbehörden aufgerufen, das rechte Maß zu finden und nicht jedes negative Ereignis, auch die anstehenden Wahlkämpfe, als Vorwand zu erheblichen Eingriffen in unser Persönlichkeitsrecht zu nutzen. Leider haben terroristische Übergriffe das erreicht, was wir eigentlich verhindern wollten: Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung wird maßgeblich eingeschränkt.

 

Jeden Monat werden durch automatisierte Programme (u. a. PRISM, MUSCULAR und Tempora) hunderte Millionen Datensätze der Bundesbürger abgegriffen und ausgewertet. Überwachungssysteme (z. B. Echolon) und mangelnde Sicherheitsstandards ermöglichen es Geheimdiensten wie der National Security Agency (NSA) zudem, nahezu alle Handy-Gespräche abzuhören. Die Geheimdienste auch befreundeter Staaten bespitzeln sich sogar gegenseitig.

Weltweit tätige Wirtschaftsunternehmen und Internetfirmen sammeln immer mehr nutzerbezogene Daten, um sensible Zielgruppeninformationen zu gewinnen und Angebote sowie Werbekampagnen noch präziser und individueller ausrichten zu können. Letztlich werden wir dadurch in unserem Konsumverhalten und unserer politischen Meinungsbildung manipuliert. Es kann nicht hingenommen werden, dass Unternehmen und Institutionen dazu ungestraft massenhaft persönliche Daten auf illegale Weise sammeln und auswerten. Wie durchschaubar wir sind, hat der Politiker Malte Spitz an seiner Person eruiert und plastisch dargestellt: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/datenschutz-der-datenschatten-von-malte-spitz-a-999554.html 

 

Der durch Edward Snowden enthüllte US-Spitzelskandal, die "Lausch-Attacken" auf das Handy der Bundeskanzlerin und jüngst angebliche Angriffe russischer Hacker auf den Bundestag und sogar Beeinflussung der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 haben zu großer Medienresonanz geführt. Ob tatsächlich russische Hacker oder sogar Russlands Präsident Putin persönlich für einen derartigen inakzeptablen Angriff verantwortlich sind, kann trotz Behauptungen amerikanischer Geheimdienste nicht als sicher unterstellt werden. Betroffen machen muss jedenfalls die Nachricht von NBC News, wonach amerikanische Geheimdienste zum Gegenschlag ausgeholt und die Computer der russischen Stromversorger und Telekommunikationsanbieter sowie im Kreml selbst - quasi vorbeugend - unterminiert hätten. Ein derartiger "Cyber-Krieg", wie er auch in Deutschland bei den anstehenden Wahlen befürchtet wird, wird unsere Gesellschaft zukünftig immer stärker beschäftigen.

 

Trotz deutlich wachsenden Unbehagens halten nur wenige Bürger Datenschutz für ein drängendes Thema. Die Anzahl der Unzufriedenenen nimmt allerdings dramatisch zu. Mittlerweile sehen die Bürger, aber durchaus auch die deutsche Wirtschaft, die größte Gefahr für die Freiheit in der Überwachung durch ausländische Geheimdienste und im Sammeln von Daten aus dem Internet durch Unternehmen. Erst danach kommt der internationale Terrorismus (F.A.Z. vom 08.10.14 sowie F.A.Z.-Verlagsspezial vom 21.10.14).

Die deutsche Industrie hat erkannt, dass Deutschland und Europa bei der Industrialisierung des Internets gegenüber den Vereinigten Staaten und Asien zurückliegt. Sie will durch Stärkung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und mit dem Programm "Industrie 4.0" aufholen. Dabei ist es ihr durchaus bewusst, dass dies nur mit einer vertrauenswürdigen und sicheren Kommunikation in der digitalen Welt einhergehen darf.

Die Politik reagiert auf diese Entwicklungen nicht mit der gebotenen Konsequenz: Bislang wurden keine wirkungsvollen gesetzlichen Grundlagen gegen die Totalüberwachung geschaffen oder Machenschaften aus dem In- und Ausland mit den erforderlichen Mitteln verfolgt. Auch die von der Bundesregierung protegierte und als abhörsicher bezeichnete De-Mail entspricht keineswegs diesen Versprechungen. Da jede E-Mail bei der Weiterleitung vom Provider geöffnet wird und keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung besitzt, ist eine Abhörschnittstelle gleich miteingebaut. Es entsteht vielmehr der Eindruck, als spekuliere die Politik auf die Lethargie und das Vergessen der Bürger und damit auf das Hinnehmen dieses völlig inakzeptablen Zustandes. Diese Auffassung vertritt auch die Kolumnistin des SPIEGEL, Juli Zeh, unter dem Titel "Verräterische Stille", die darüber hinaus befürchtet, dass wir "als die Generation in die Geschichte eingehen, die die Errungenschaften der Aufklärung an die digitale Revolution verraten hat" (DER SPIEGEL 39/2014). Weiteres auch: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-127396596.html

Privatsphäre, Selbstbestimmung und Persönlichkeitsrechte werden drastisch beschnitten – bei leider unzureichendem Problembewusstsein in der Bevölkerung. Dies kulminiert in dem neuen Vorratsdatenspeicherungsgesetz, welches quasi eine Totalüberwachung aller Bürger nach sich zieht.

Mit der Veröffentlichtung im Bundesgesetzblatt am 17.12.2015 trat das "Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten" - kurz Vorratsdatenspeicherungsgesetz - in Kraft. Danach müssen ab dem 01.07.2017 die "Erbringer öffentlich zugänglicher Telefondienste" wieder Rufnummern und andere Kennungen der Kommunikationspartner mit genauen Zeitangaben, Internetzugangsdienste die jeweiligen Internet-, Protokoll-, Adressen speichern. Bei mobilen Diensten werden zusätzlich die Daten über die zu Beginn der Verbindung genutzten Funkzellen festgehalten.

Erst im Jahr 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die im Jahr 2006 eingeführte Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Der Europäische Gerichtshof annullierte im April 2014 die Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie der EU, weil sie eklatant gegen die europäische Grundrechte-Charta verstieß.

Dies hält die Bundesregierung nicht davon ab, mit dem neuen Vorratsdatenspeicherungsgesetz mit einer anlasslosen, regional unbegrenzten langfristigen und umfangreichen Speicherung personenbezogener Daten tief in die Grundrechte aller Bürger einzugreifen. Von derartigen Maßnahmen sind fast ausschließlich unverdächtige Bürger betroffen. Selbst Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten, Ärzten und Seelsorgern werden lückenlos erfasst. Die vorgeschobene Begründung, Kampf gegen den Terrorismus, hat weltweit keinerlei belastbare Bestätigung gefunden. So hat Frankreich bereits seit Jahren eine gesetzliche, sogar zwölfmonatige Speicherung eingeführt, ohne dass die brutalen Mordattentate vom Januar und Oktober 2015 hätten verhindert werden können.

Hier sind das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof (EuGH) aufgerufen, das Vorratsdatenspeicherungsgesetz einer kritischen Prüfung und Revidierung anlassloser Massenüberwachung vorzunehmen. Unsere Initiative ist durch unsere Mitglieder an einer Verfassungsbeschwerden unmittelbar beteiligt.

 

Sowohl die am 25.05.2018 in Kraft getretene Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) als auch die Entscheidung des EuGH zur anlasslosen Überwachung der Bürger in England und Schweden vom 21.12.2016 geben berechtigt den Anlass zur Hoffnung. Es steht allerdings zu befürchten, dass die erforderliche Umsetzung der Datenschutzgrundverordnung in nationale Gesetzgebung, dies gilt insbesondere auch für die Bundesrepublik Deutschland, eine Aufweichung der digitalen Grundrechte der Bürger bezweckt bzw. bewirkt. Das Bundesverfassungsgericht wird sicherlich seine anstehende Entscheidung über die Rechtswirksamkeit des Vorratsdatenspeicherungsgesetzes und die damit einhergehende Totalüberwachung unserer digitalen Kommunikation maßgeblich auch an den Vorgaben des EuGH orientieren.

 

Schwerpunkte unserer Tätigkeit

Wir sehen die Schwerpunkte unserer Tätigkeit darin, die Ideen unserer Initiative zu verbreiten, Hilfestellung zu bieten, Diskussionsforen gegen Ausspähungsmaßnahmen anzubieten und zielgerichtete Aktionen durchzuführen. Wir beabsichtigen Podiumsdiskussionen, Informationsveranstaltungen, Presseveröffentlichungen, Petitionen, Demonstrationen und Angänge an die Politik und die IT-Konzerne durchzuführen. Unser Anliegen ist es, einerseits ein Problembewusstsein zu schaffen, andererseits im konstruktiven Zusammenwirken mit anderen Institutionen und engagierten Bürgern der Totalüberwachung Einhalt zu gebieten. Dass dabei der Bundesregierung eine besondere Verpflichtung zukommt, gemeinsam mit der EU für Abhilfe zu sorgen, liegt auf der Hand, muss augenscheinlich aber dort noch in besonderem Maße deutlich gemacht und eingefordert werden.

 

Beirat

Wir freuen uns, dass wir zur Unterstützung unserer Tätigkeit einen profunden Beirat haben gewinnen können. Beiratsmitgliederinnen und -mitglieder unserer Initiative gegen Totalüberwachung e.V. sind:

  • Gerhart Baum, Bundesinnenminister a.D. (Vorsitzender)
  • Dr. Stefan Brink, Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg
  • Prof. Dr. Johannes Caspar, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit
  • Ulrich Gineiger, Deutschlandfunk
  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D.
  • Dr. Wolfgang Lieb, Staatssekretär NRW a.D.
  • Prof. Dr. Michael Meier, Universität Bonn
  • Prof. Dr. Horst Müller-Peters, Technische Hochschule Köln
  • Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin, Publizistin und Ökonomin
  • Alexander Sander, Free Software Foundation Europe
  • Prof. Dr. Indra Spiecker gen. Döhmann, LL.M., Universität Frankfurt a.M.

Ziele



 

Wir können und wollen das digital-technische Rad nicht zurückdrehen. Die neuen Medien haben durchaus unser Leben in vielerlei Hinsicht bereichert. Doch unstrittige Vorteile, wie z.B. die sekundenschnelle Verfügbarkeit weltweiten Wissens, dürfen nicht durch den Preis der persönlichen Freiheit erkauft werden. Wir wollen die "Big Data"-Debatte über ein ideologisches Niveau hinaus einer fundierten, pragmatischen Sachdiskussion zuführen. Nicht alles, was technisch machbar ist, darf auch umgesetzt werden.

Gleichwohl werden Forderungen laut, unsere Privatheit immer weiter einzuschränken. Die Aufrüstung mit Kameras im öffentlichen Raum, die Diskussion über damit einhergehender Gesichtserkennungstechnik oder der weltweite "Krieg gegen das Bargeld", dem sich augenscheinlich auch Bundesfinanzminister Schäuble angeschlossen hat, lassen ein weiteres Stück Freiheit, Privatsphäre, Eigentumsschutz sowie Schutz gegen umfassende staatliche Überwachung verschwinden. Dies hat auch jüngst die Stiftung Marktwirtschaft in einer Studie hervorgehoben.

Um die Vertrauenswürdigkeit der elektronischen Kommunikation wieder herzustellen und den Anspruch auf überwachungsfreie Lebensbereiche so weit wie möglich durchzusetzen, hat sich die Initiative gegen Totalüberwachung drei elementare Aufgaben gesetzt:

 

  • Aufklärung
  • Hilfestellung
  • Einflussnahme


Einflussnahme werden wir nur erreichen, wenn wir größere Teile der Bevölkerung, der Medien und einflussreiche Institutionen in unser Anliegen einbinden können. Wir haben deshalb mit Gleichgesinnten Kontakt aufgenommen, uns vernetzt und bereits gemeinsame Aktivitäten durchgeführt nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stark!". Zukünftig werden wir auch diese Aktivitäten verstärken und erweitern.

 

Mit u.a. den folgenden Organisationen haben wir bereits Veranstaltungen durchgeführt:

  •  Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (Ortsgruppe Köln-Bonn)
  • Cryptoparty Köln-Bonn
  • Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V., Bonn
  • Kölner Anwaltverein
  • Rechtsanwaltskammer Köln