Wolfgang Lieb: Jenseits der "Lügenpresse" – Kann das Internet die etablierten Medien ergänzen oder ersetzen?

Warum ist das Thema eigentlich von Wichtigkeit?
Erstens ganz einfach, weil Medien maßgeblich unsere Meinung über die Welt, über die Politik, über Parteien, Regierung, über die Wirtschaft, die Umwelt oder das Klima beeinflussen.

Zweitens, weil die Vielfalt der Meinungen eine Bedingung für einen offenen Meinungsbildungsprozess und für Vernunft in der öffentlichen Meinung und damit bei politischen Entscheidungsfindungen.

Drittens, weil das Vertrauen in die Medien ganz eng mit dem Vertrauen in das Funktionieren der Demokratie zusammenhängt. Das Misstrauen gegenüber Medien ist besonders ausgeprägt bei denjenigen Menschen, die Wahlenthaltung üben oder AfD wählen. Menschen, die der Politik kritisch gegenüber stehen, vertrauen auch den etablierten Medien nicht mehr, weil sie einen Zusammenhang zwischen den Institutionen vermuten. (Matthias Kohring  http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw07-konferenz-hass/491806

Die Sorge um den Zustand der Medienlandschaft ist also gleichzeitig die Sorge um den Zustand unserer demokratischen und politischen Kultur.

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Zunächst ist es mir ein Anliegen, mich von dem Begriff „Lügenpresse“ in der Überschrift zu distanzieren.

Ich halte dieses Schlagwort für

problematisch,
falsch,
ja sogar gefährlich.

Problematisch halte ich dieses Schlagwort, weil in dem Vorwurf der „Lügenpresse“ die Behauptung mitschwingt, dass man selbst die Wahrheit kenne und dass es eine bestimmbare Macht gebe, die die Wahrheit zu unterdrücken versucht. Wer eine „Gleichschaltung“ der Leitmedien beklagt, müsste auch sagen können, wer den „Schalter“ bedient.

Die pauschale und undifferenzierte Kritik an „den“ Medien halte  ich zudem für falsch,  weil damit die notwendige Medienkritik eher verhindert oder behindert wird. Man macht es damit nämlich den etablierten Medien zu leicht, berechtigte sachliche Kritik abzuwehren und die dringend notwendige Mediendebatte abzublocken. Gerade auch die „Vierte Gewalt“, als die sich die Medien gerne verstehen, muss sich der öffentlichen Kritik stellen.

Gefährlich halte ich dieses Schlagwort deshalb, weil man sich durch diesen pauschalen, historisch vorbelasteten Kampfbegriff in die Nähe einer rechtspopulistischen, jedenfalls intoleranten und antiaufklärerischen politischen Bewegung begibt. „Lügenpresse“ diente auch schon den Nazis zur pauschalen Diffamierung der angeblich vom „Weltjudentum“ gesteuerten Journaille.

Ich verstehe mich als Medienkritiker und Zweifler an der Mainstream-Medienberichterstatter, aber ich bin den etablierten Medien gegenüber nicht feindselig, wie es viele derjenigen sind, die auf ihren Umzügen „Lügenpresse“ skandieren und Empörung und Ressentiments gegen die etablierten Medien schüren.
Wer sich – wie ich - gegen das Schlagwort der „Lügenpresse“ wendet, will damit unsere Leitmedien ja nicht umgekehrt als „Wahrheitspresse“ verteidigen.
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Zunächst nur einige wenige Hinweise darauf, wo unsere etablierten Medien kein realistisches Bild der Wirklichkeit gezeichnet oder einseitig oder unausgewogen berichtet oder sogar versagt haben.
Die Beispiele werden auch Ihnen aufgefallen sein:

- Kaum ein deutsches Medium hat mit dem Brexit oder mit einem Wahlsieg von Donald Trump gerechnet, noch am Wahlabend war für das deutsche Fernsehen der Wahlsieg Hilary Clintons sicher.

- Über die Berichterstattung über die Ukraine-Krise urteilte selbst der Programmbeirat der ARD, sie habe „teilweise den Eindruck der Voreingenommenheit“ hinterlassen. Man hätte über die Faktoren berichten müssen, „die ursächlich am Entstehen der Krise waren“.
Nach einer Umfrage des Medienmagazins ZAPP hatten 63 Prozent der Befragten wenig oder gar kein Vertrauen in die Ukraine-Berichterstattung deutscher Medien.

- Die OBS hat die Berichterstattung von FAZ, HB, FTD, taz und der dpa über 10 Jahre bis zur Finanzkrise untersucht und kommt zum vernichtenden Ergebnis:
„Der tagesaktuelle Wirtschaftsjournalismus stand dem globalen Finanzmarkt gegenüber wie ein ergrauter Stadtarchivar dem ersten Computer mit einer Mischung aus Ignoranz, Bewunderung, ohne Wissen, wie er funktioniert, ohne Ahnung von den folgenreichen Zusammenhängen, die sich aufbauen; im Zweifel schloss man sich der vorherrschenden Meinung an“

- Fluchtbewegungen: Es gab seit über 10 Jahren Warnungen der Hilfsorganisationen über die Lage in den Flüchtlingslagern in den Nachbarländern des Iraks und Syriens. Das war für die „Wachhunde“, als die sich die Medien gerne sehen, kein Thema. (Türkei: 3,4 Mio. Flüchtlinge, Libanon: 1,4 Mio. = ¼ Bev.)
 Unicef, sei es das Welternährungsprogramm WFP od UN-Gensekr Ban Ki Moon, der UN-Flüchtlingskommissar oder die Hilfsorganisation Oxfam, Lage der Flüchtlinge in den
2016: Mittel für UN-HCR in D 40% gekürzt

- Mordserie des NSU = Dönermorde

- Griechen-Bashing: „Rettungsschirme“ für die Griechen. In Wahrheit wurden die Gläubigerbanken gerettet.

- Usw. Usf.

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Auch zu den Gründen für das Versagen nur ein paar Stichworte:
- Wegfall kritischer Medien, stern (Henri Nannen), Spiegel (Rudolf Augstein), FR (Karl Hermann Flach)
- Prägende Kraft der Leitmedien (etwa der Bild-Zeitung)

- Die Leipziger Studie über die Einbindung von Spitzenjournalisten wie etwa Josef Joffe (Die Zeit), Stefan Kornelius (SZ), Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ) oder Michael Stürmer (Die Welt) in trans-atlantische Lobbyorganisationen hat es sogar bis ins Kabarett geschafft. Vielleicht erinnern Sie sich manche an die Sendung „Die Anstalt“, in der Max Uthoff und Claus von Wagner die Einbettung ins atlantische Elitenmilieu aufdeckten.

- Immer schlechter bezahlte und gestresstere Journalisten stehen unter dem Druck von immer besser ausgestatteten PR-Abteilungen der Wirtschaft, Politik und von Lobbyisten. 30.000 bis 50.000 PR-Mitarbeitern stehen hierzulande rund 48.000 hauptberufliche Journalisten gegenüber.

- Nahezu zwei Drittel aller in den Medien verbreiteten Meldungen sind nicht selbständig recherchiert, sondern stammen aus Pressestellen von privaten und öffentlichen Institutionen oder PR-Agenturen.

- Wir müssen eine Oligopolisierung des Medienmarktes beobachten: Knapp 60% der verkauften Zeitungen stammen von 10 Mediengruppen. Von den 8 umsatzstärksten Medienunternehmen werden 7 von Eigentümern (bzw. Eigentümerfamilien) geführt (Liz Mohn (u.a. Stern, Spiegel) Friede Springer, Hubert Burda, Yvonne Bauer, Stefan von Holtzbrinck (HB, Zeit, Tagespiegel), Petra Grotkamp (Funke-Gruppe), die Familien Schau und Ebner (u.a. SZ, Stuttgarter Zeitung etc.)

- Kehrseite der Konzentration nach außen, sind Scharfe Rationalisierung nach innen. 2014 waren über 5.000 Journalisten bei der BA arbeitslos gemeldet, es gab 9.700 Arbeitssuchende.

- Journalisten haben pro Tag im Schnitt noch 108 Minuten, Nachrichten zu überprüfen oder den Inhalt tiefer zu recherchieren. Für die Kontrolle der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit von Quellen bleiben gerade elf Minuten. Der Anteil der Ortstermine an der knappen Recherchezeit beläuft sich auf unterirdische 1,4 Prozent.

Man könnte und müsste noch zahllose weitere Gründe für den Qualitätsverlust der Medien und die Misere des Journalismus anführen.

Diese negative Entwicklung blieb nicht ohne Folgen:
Über die letzten Jahre hinweg, hat eine Vielzahl von Studien einen Verlust an Vertrauen in die etablierten deutschen Medien festgestellt.

Laut einer Umfrage von infratest/dimap im Auftrag des wdr vom Dezember 2016 ist bei 46% der Befragten das Vertrauen in die deutschen Medien gesunken.
- 39% glauben danach, dass in den deutschen Medien immer bzw. häufig absichtlich die Unwahrheit gesagt wird.
- 42 % meinen, dass es Vorgaben der Politik für die Berichterstattung der Medien gibt.
- Vielleicht liegt es an der Debatte über Fake News, dass die Lügenpresse-Hysterie abebbt: eine aktuelle Umfrage des Instituts für Publizistik in Mainz kommt zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen eher wieder zugenommen hat, es sei von 28% in 2015 auf 42% in 2017 wieder deutlich gestiegen.
Aber: 17% haben auch nach dieser Untersuchung eher kein oder überhaupt kein Vertrauen und 41% vertrauen den Medien nur teilweise.
- Jeder 10. fühlt sich in Deutschland von den Medien belogen.
- Knapp 40% meinen, dass die Medien ihr persönliches Lebensumfeld nicht abbilden.

- Mit dem Vertrauen ist auch Zahlungsbereitschaft gesunken:  1991 hatten die Tageszeitungen eine tägliche Auflage von über 27 Mio. Exemplare, 2016  nur noch rd. 15 Mio.  Die Auflage hat sich also nahezu halbiert.
FAZ sank in den letzten Jahren am stärksten, nämlich von rd. 460.000 im Jahr 2011 auf heute etwas über 250.000 Stück.

- Das Fernsehen mit einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 223 Minuten pro Tag ist zwar nach wie vor das wichtigste Leitmedium und die öffentlich-rechtlichen Medien genießen mit 70% das meiste Vertrauen.
- Zwischen der bewerteten Glaubwürdigkeit und dem tatsächlichen Nutzerverhalten besteht allerdings eine riesige Kluft. Dem Vertrauensbonus steht geradezu ein Generationsabriss bei der Nutzung gegenüber:
- Die jüngsten Zahlen des ZDF sind ernüchternd:
Im Alter von 50 plus nutzen 84,3% das „Zweite“, von den 14 bis 29-Jährigen sind es gerade noch 2,5%.
- Hinzu kommt eine höchst bedenkliches Urteil: 49 % der Befragten, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen als hauptsächliche Informationsquelle nennen, halten es für staatlich gelenkt und 31% meinen, dass auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelogen wird.

- Ein Viertel der jungen Leute zwischen 19 - 34 haben keinerlei Vertrauen in die Medienlandschaft. 40% stehen ihr skeptisch gegenüber.
- Insbesondere bei den Jüngeren lässt sich eine zunehmende Präferenz für die Mediennutzung per Internet feststellen. Bei unter 30-Jährigen hat das Smartphone das Fernsehen als meistgenutztes Medium abgelöst, bei 2/3 ist das Smartphone nicht mehr wegzudenken.
- Zwischenbemerkung: Interessanterweise hat aber gerade die Internet-Generation bei der Schweizer Volksabstimmung am deutlichsten gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühr gestimmt, nämlich zu 80% im Vergleich zum Gesamtergebnis von 71,6%.
- In Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt 55 % der Internetnutzer zu privaten Zwecken auf sozialen Netzwerken unterwegs. In der Altersgruppe von 16 bis 24 Jahren nutzen knapp neun von zehn Personen Facebook und Co.

- Der Messenger-Dienst WhatsApp kommt in Deutschland auf mehr als 40 Mio. Nutzer.
Facebook kommt auf insgesamt 31 Mio. aktive Mitglieder. Instagram auf 17 Mio. , Xing kommt auf 13 Mio. Mitglieder, Linkedin auf 10 Mio. Nutzer, Google+ auf bis zu 6 Mio. User - etwa genauso viel wie YouTube. Snapchat auf 3,7 Mio.
Weit auseinander gehen die Zahlen für Twitter. Twitter selbst sprach 2016 von 12 Mio. Nutzern, die ZDF/ARD-Online Studie schätzt nur 1,8 Mio. https://www.kontor4.de/beitrag/aktuelle-social-media-nutzerzahlen.html https://buggisch.wordpress.com/2018/01/02/social-media-und-messenger-nutzerzahlen-in-deutschland-2018/
- ¼ der Bevölkerung Informiert sich über Soziale Medien. 16% hauptsächlich.
- Gerade die Nutzer sozialer Netzwerke haben mit 53% weniger oder gar kein Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als die Allgemeinheit https://presse.wdr.de/plounge/wdr/unternehmen/2017/01/_pdf/WDR-Glaubwuerdigkeit_final.pdf
und sie glauben, dass den deutschen Medien von Staat und Regierung vorgegeben wird, worüber sie berichten sollen https://presse.wdr.de/plounge/wdr/unternehmen/2017/01/_pdf/WDR-Glaubwuerdigkeit_final.pdf S. 15)
- Weltweit haben seit 2015 Internet-Suchmaschinen (mit 64 %) die traditionellen Medien (mit 62%) als glaubwürdige Quelle abgelöst (Stefan Schulz, „Redaktionsschluss“, München 2016, S. 157)
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Eine Kernfrage für die Zukunft der veröffentlichten Meinung und damit auch für eine demokratische Meinungsbildung ist:
Kann das Internet den Vertrauensverlust, den Nutzerschwund, die Schrumpfung der Pluralität, die Abnahme an Qualität oder die oligopolistische „Vermachtung“ der veröffentlichten Meinung in den etablierten (linearen) Medien aufbrechen?
Das Internet böte technisch die historisch erstmalige Möglichkeit, dass nahezu jedermann nicht nur seine persönliche Meinungsfreiheit, sondern auch das Grundrecht der Pressefreiheit wahrnehmen könnte – also das unzensierte Veröffentlichen von Informationen und Meinungen an ein unbestimmtes Publikum. https://de.wikipedia.org/wiki/Zensur_%28Informationskontrolle%29.
Dank des weltweiten Netzes wäre finanziell die Pressefreiheit  nicht länger nur ein paar reichen Familien vorbehalten.
Jeder, der sich einen Computer und einen Internetanschluss leisten kann, wäre in der Lage - sei es über „Jedermann-Netzwerke“, sei es mit ein bisschen Einarbeitung unter einer eigenen Domain ein Blog zu betreiben - und sich mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit zu wenden www.ard-zdf-onlinestudie.de/fileadmin/Onlinestudie_2012/0708-2012_Eimeren_Frees.pdf.
Ohne Zweifel leisten eine Vielzahl von Blogs einen beachtlichen Beitrag zur Meinungsvielfalt, doch das Ideal einer basisdemokratischen Internetkommunikation weicht von der Wirklichkeit erheblich ab.
Spätestens seit den Enthüllungen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden über die Überwachungs- und Spionagepraktiken von amerikanischen und britischen Geheimdiensten im Jahre 2013 galt das Internet für eine breite Öffentlichkeit nicht mehr nur als freiheitliches, widerständiges Gegenmedium, sondern auch als Überwachungsmittel für eine umfassende staatliche Kontrolle der elektronischen Kommunikation.
Die repressive Seite des Mediums kam zum Vorschein.
Mehr und mehr wird den Internet-Nutzern auch bewusst, dass die angeblich „kostenfreien“ Internet-Dienste von facebook und Konsorten Datenkraken sind, die mit dem Sammeln und dem Verkauf von Nutzerdaten Milliardengewinne machen. Nach Schätzungen der Boston Consulting Group wird der Handelswert persönlicher Daten 2020 allein in Europa 330 Milliarden Euro betragen.   650 Milliarden Dollar im Jahr würden weltweit für Werbung ausgegeben
Mehr und mehr wird bewusst, dass wenn etwas nichts kostet, der Nutzer das Produkt ist.
Die sozialen Netzwerke sind die größten Werbeagenturen (Falter 27a/16 Daniela Zimmer, Mathias Grandosek, S. 24ff. (25,28)) Facebook machte im letzten Jahr einen Gewinn von um die 10 Milliarden Dollar. https://www.fool.de/2017/01/11/die-gewinne-von-facebook-werden-2017-wahrscheinlich-10-milliarden-us-dollar-uebersteigen/
Zwar verbreiten der CEO Larry Page  von „Alphabet“ (des mit über 67 Milliarden Euro Umsatz größten Technologiekonzerns der Welt), die Chefs von Google, Sundar Pichai, von Facebook, Mark Zuckerberg, von Apple, Tim Cook, oder von Twitter, Jack Dorsey, usw. unisono und penetrant die „internetzentristische“ Ideologie – wie das der Internet-“Papst“ Evgeny Morozov nennt –, dass „das Internet“ neutral sei. (Evgeny Morozov, Smarte neue Welt, Müchen 2013)
Die Internetdienstanbieter seien nur „Provider“ oder „Dienstleister“ für ihre Nutzer behaupten sie.
(So sieht das übrigens bisher auch in Deutschland das Telemediengesetz).
Sie machten sich deshalb Meinungen oder Inhalte der wie auch immer gearteten Mitteilungen ihrer Nutzer nicht zu Eigen und könnten daher dafür auch nicht als „Herausgeber“ zur Verantwortung gezogen werden.
Die „Sozialen Medien“ seien demnach nur eine Art digitales Schwarzes Brett, wo Leute Zettel anheften, ohne dass der Aufsteller der Anschlagtafel eine Verantwortung dafür trüge, was dort „gepostet“ wird.
Mit dieser Ideologie des Internetzentrismus der Dienstleister verbunden mit der gut gemeinten Doktrin des „freien“ Internets auf Seiten der Nutzer ist es den Oligopolisten aus dem Silicon-Valley bisher weitgehend gelungen sich einer Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Inhalten zu entziehen und erfolgreich gegen jede Form von Regulierung Widerstand zu leisten.
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So unbeteiligt an den Inhalten, die sie verbreiten, wie sie das gerne selbst darstellen, sind die Internetdienstanbieter aber keineswegs. Soziale Netzwerke gehen inzwischen weit über die private Beziehungspflege hinaus, sie sind wichtige Verbreitungsplattformen sämtlicher sonstiger Medienanbieter und damit zunehmend wichtige Meinungsmultiplikatoren.
Die Anzahl der Internetnutzer unter der deutschsprachigen Bevölkerung stieg 2016 auf 58 Millionen. Täglich rufen 45 Millionen Menschen Netzinhalte ab www.ard-zdf-onlinestudie.de.
Für viele - vor allem Jüngere, also die sog. „digital natives“ -  sind Timeline, Newsfeed oder Messenger App etc., d.h. die eingehenden Tweets und Botschaften der zentrale, oft sogar der einzige Anlaufpunkt für Nachrichten nicht nur innerhalb von Freundeskreisen, sondern auch für Neuigkeiten aus aller Welt.
Sogar für professionelle Journalisten sind die sozialen Netzwerke zu einem Recherchetool geworden. (LfM-Materialien 31, Marcel Machill, Markus Beiler, Uwe Krüger, Das neue Gesicht der Öffentlichkeit home.uni-leipzig.de/journalistik/fileadmin/user_upload/00/machill/LfM_Materialien_Bd31_FINAL.pdf S.29).
Hashtag-Trends, Twitter-Trendanalysen oder Google-Empfehlungen können inzwischen den gesellschaftlichen Diskurs prägen.
Nicht verstanden oder verdrängt wird dabei  jedoch, dass die Inhalte, sei es aufgrund der Empfehlungen von Freunden, aber vor allem aufgrund von Sortier- und Suchalgorithmen der Internetdienstleister gesteuert werden. Sie zeigen den Usern das, was sie ohnehin denken – egal was tatsächlich in der Welt vor sich geht.
Von den Internet-Dienst-Anbietern wird nachverfolgt (z.B. über die Suchhistorie im Netz oder durch das Klickverhalten), welche Netzinhalte für den Benutzer wichtig sind oder häufig gesucht werden. Daraus wird berechnet und vorausgesagt und dem Benutzer angeboten, welche Informationen für ihn interessant sein könnten, weil sie mit seinem bisherigen Such- und Nutzungsverhalten übereinstimmen.
Diese Such-, Filter- oder Empfehlungs-Algorithmen (die sog. „Trending Topics“) der Online-Vermittler gelten bislang als Betriebsgeheimnisse www.zeit.de/digital/internet/2016-05/transparenz-algorithmen-bundesregierung-google-facebook. Vergebens hat bislang die Politik auf die Offenlegung der Grundprinzipien der Such- und Empfehlungsalgorithmen gedrängt. www.zeit.de/digital/internet/2016-05/transparenz-algorithmen-bundesregierung-google-facebook.
Ulrich Fichtner schreibt im Spiegel zurecht: „Angesichts der Bedeutung, die Google, You-Tube, Facebook, Twitter und Apple mittlerweile für unser Leben haben, grenzt es an Wahnsinn, dass wir über diese Firmen außer schicken Werbeoberflächen so gut wie nichts wissen. Wie sucht die Google Suchmaschine, wie findet sie, und nach welchen Kriterien sortiert sie die Ergebnisse? Wer wählt welche Facebook-Posts? Wie entsteht ein Twitter-Trend? Welchen Kriterien folgt der Mitteilungsstrom auf den Apple-iPhones?“ (Spiegel 01/2017, S. 19ff.)
Die amerikanische Mathematikerin Cathy O`Neil, die lange über Algorithmen geforscht hat, schreibt: „Soziale Medien zeigen ihren Usern Inhalte an, die diese mögen – also verstärken sich die immer gleichen Ansichten.“ (Siehe auch Cathy O`Neil in der taz vom 8.11.2016, S. 7)
Der Internetaktivist Eli Pariser (The Filter Bubble: What The Internet IS Hiding From You, New York 2011 www.lse.ac.uk/assets/richmedia/channels/publicLecturesAndEvents/slides/20110620_1830_theFilterBubble_sl.pdf  beschrieb schon 2011 den Effekt, dass die Internetnutzer bei der Suche im Internet vor allem „Freunden“ folgen und durch die verborgenen Algorithmen der Suchmaschinen „Follower“ bestimmter Netzinhalte werden, als „Filterblase“.
(Der Experte für Psychometrie an der Stanford Universität Michal Kosinski meint zwar, dass in „Filter Bubbles“ zu leben, „unser natürlicher Zustand“ und nicht schuld von Facebook sei. Aber dass heute sehr genaue Aussagen über jemand getroffen werden können, wenn man mit Hilfe von Algorithmen die Datenspuren im Internet verfolgt, sei erwiesen www.taz.de/Psychologe-Michal-Kosinski/!5363681/.)
Der Einfluss von undurchschaubaren Algorithmen für die Trefferlisten der Suchmaschinen und die Auswahl der Botschaften in den Internetdienste sind zu neuen Gatekeepern für öffentlichkeitsrelevante Informationen geworden, sie ersetzen geradezu die redaktionelle Denkarbeit. Facebook sortiere tiefgreifend und blende 4/5 der Inhalte aus und vermittle eine eigene Realität, schreibt Stefan Schulz in seinem Buch „Redaktionsschluss“  (a.a.O S. 44).
In den letzten 10 Jahren seien neue Massenmedien entstanden, die zwar keine Redaktionen mehr hätten, aber mittels ihrer Produktmanager, ihrer Softwareentwickler und mit Inhalten, die algorithmisch von anderen Medien übernommen werden, eine eigene Öffentlichkeit schafften. (Stefan Schulz  a.a.O. S. 251).
Meine langjährige Beobachtung als Mitherausgeber des ziemlich verbreiteten Blogs „NachDenkSeiten“, als auch die allgemeine Erfahrung zeigen, dass „Soziale Medien“, aber auch Blogs eine Tendenz zur Aufspaltung der öffentlichen Meinung aufweisen, indem sie den diskursiven und pluralen öffentlichen Meinungsaustausch in eine Vielzahl von voneinander abgeschlossenen „persönlichen Öffentlichkeiten“ oder genauer in „Gegenöffentlichkeiten“ – man könnte auch Sekten sagen - auseinanderdividieren.
Über die Jedermanns-Medien reden zwar viele mit, aber auch ständig aneinander vorbei. Es gibt die berechtigte Sorge, dass im Internet Vertreter unterschiedlicher Meinung nicht mehr aufeinanderstoßen, weil sich homogene Gruppen von Gleichgesinnten, Deutungsgemeinschaften oder Subkulturen bilden, die sich untereinander oder von der sog. Mehrheitsgesellschaft abkapseln. Man spricht zu recht von einem „Echo-Kammer-Effekt“. www.sourcewatch.org/index.php.
Mit dem Begriff virtuelle „Echo-Kammer“ wird beschrieben, dass Informationen, Ideen oder Meinungen innerhalb eines geschlossenen Systems verstärkt und abweichende oder konkurrierende Sichtweisen eher unterbunden werden oder zumindest unterrepräsentiert sind, ja sogar bekämpft werden. www.sozialebewegungen.org/blog/2012/03/09/was-bezeichnet-der-begriff-echokammer/.  
Grundlegend für dieses Phänomen der „Echo-Kammer“ sind vor allem zwei Einflussfaktoren: die menschliche Psyche, speziell die selektive Wahrnehmung und – neu hinzukommend und massenhaft verstärkend  -  die Auswahl-Algorithmen der Suchmaschinen und der Internet-Dienste.
Der „Stammtisch“ - einstmals auf wenige anwesende Zecher begrenzt - kann sich im Netz wie eine Epidemie „viral“ und mit Lichtgeschwindigkeit verbreiten und bleibt  – was gleichfalls eine neue Qualität ist – (ohne Gegenwehr) dauerhaft dokumentiert.
Die Noelle-Neumannsche „Schweigespirale“, wonach Menschen sich mit ihrer Meinung eher zurückhalten, wenn diese einem vorherrschenden Meinungsklima widerspricht noelle-neumann.de/wissenschaftliches-werk/schweigespirale/, wird durch die technische Distanz des Internets durchbrochen. „Im Vergleich zum Dorftratsch verstärkt sich im Internet die asymmetrische Kommunikation“ meint die Medienpädagogin Sabine Schiffer. www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/funkhausgespraeche/funkhausgespraeche878.html).
Inhaltliche Auseinandersetzungen finden auf Facebook oder Twitter
(OBS-Studie: Twitter-Euphorie unbegründet – und mehr Mythos als Realität https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/AP24/201610_06_PM_AP24.pdf  kaum statt. Über das „liken“ „sharen“ oder „retweeten“, entsteht kein virtueller Raum öffentlicher Beratschlagung.
(Das haben Kristina Beer und Saskia Richter von der Arbeitsgruppe "Politik und Internet" der Universität Hildesheim  in einer Untersuchung festgestellt Überschätzte Debattenkultur: Soziale Medien in Protestbewegungen www.heise.de/newsticker/meldung/Ueberschaetzte-Debattenkultur-Soziale-Medien-in-Protestbewegungen-3084001.html.

Das Internet befördert die Entstehung politischer Parallelwelten und negativer Abgrenzung. „Damit ändert sich der demokratische Prozess und das, was wir unter Öffentlichkeit verstehen – sie fragmentiert und schafft sich ab“.  (Cathy O`Neil a.a.O.) An die Stelle politischer Auseinandersetzung tritt die Selbstbestätigung von Gleichgesinnten. Es entwickeln sich „homogenisierte Teilöffentlichkeiten“ mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen. (Jasmin Siri  www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw07-konferenz-hass/491806)

Es sind Teilöffentlichkeiten, die - anders als im Ideal der Piratenpartei - eben keine „liquid democracy“ https://www.freitag.de/autoren/steffen-kraft/was-ist-liquid-democracy  schaffen, sondern mit ihrer „Eingrenzungslogik“ (Andreas Zielcke www.sueddeutsche.de/digital/soziale-medien-entwirklichung-1.3296096) im Gegenteil große Gefahren für den demokratischen Meinungsbildungsprozess mit sich bringen.
Man braucht nicht, wie die Internetkritikerin Yvonne Hofstetter gleich das „Ende der Demokratie“ https://www.randomhouse.de/Buch/Das-Ende-der-Demokratie/Yvonne-Hofstetter/C.-Bertelsmann/e497703.rhd an die Wand malen, aber feststellbar ist, dass das Netz Gesinnungsgemeinschaften fördert und Gruppen in eine Art selbstverstärkenden Meinungsstrudel geraten können. Eine Wir-gegen-die-Haltung kann entstehen, die sogar Hass sähen und einen Nährboden für Radikalisierung bilden kann.
Das mag zumindest zum Teil erklären, wie aus jungen Männern über das Internet binnen weniger Monate hasserfüllte Gotteskrieger werden können.

Die Währung des Internets ist nämlich die Aufmerksamkeit. Im Wettstreit um Aufmerksamkeit müssen sich die Postings an sprachlicher Härte, an skandalisierendem Ton und an Aggressivität überbieten.

Das Internet dient Vielen als Ventil für Ohnmachtsgefühle, Verlustängste oder unbeantwortete Zukunftsfragen und erlaubt einer lautstarken Minderheit entgrenzte Reaktionen und verbale Entgleisungen. (Thomas Leif, Die Zeit v. 31. Dezember 2016 www.zeit.de/politik/2016-12/politikverdrossenheit-demokratie-debatte-entfremdung-waehler-populismus).

So sah sich etwa die Neue Züricher Zeitung (NZZ) bemüßigt ihre Kommentarspalte „umzubauen“. In einer Erklärung hieß es: „Wo früher Leserinnen und Leser kontrovers miteinander diskutiert haben, beschimpfen sie sich immer öfter. Wir werden zunehmend als «Systempresse» oder «Propagandaschleuder» betitelt statt auf inhaltliche Fehler aufmerksam gemacht. In vielen Kommentaren wird nicht mehr Information ausgetauscht, sondern in einer Absolutheit doziert, die andere per se ausschließt.“ https://www.nzz.ch/feuilleton/in-eigener-sache-warum-wir-unsere-kommentarspalte-umbauen-ld.143568

Der norwegische Rundfunk lässt Leser Fragen beantworten, bevor sie Artikel kommentieren dürfen meedia.de/2017/03/02/text-quiz-als-kreativer-anti-troll-test-der-norwegische-rundfunk-laesst-leser-fragen-beantworten-bevor-sie-artikel-kommentieren-duerfen/ .

Verstärkt durch die Fluchtbewegungen des letzten Jahres ist eine nicht mehr überschaubare Zahl „sozialer Medien“ zu asozialen Medien verkommen. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche Hetze derstandard.at/2000033360741/Rassismus-Bericht-Immer-mehr-Hetze-gegen-Fluechtlinge-im-Netz. Und der Hass reicht weit über das rechtsextreme Spektrum hinaus.
(Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw07-konferenz-hass/491806 . Die Stiftung wurde nach Amadeu Antonio Kiowa benannt, der 1990 in Ostdeutschland von Neonazis getötet wurde, siehe die Broschüre der Stiftung zum Thema Hate Speech https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/hatespeech.pdf )
Hinter der digitalen Tarnkappe, oft im Schutz der Anonymität werden die Grenzen der strafrechtlich noch zulässigen Meinungsäußerungen massenhaft überschritten und menschenverachtende Meinungen verbreitet, ohne dass die Betreiber der Dienste (bisher) etwas wirkungsvolles dagegen unternehmen. Man spricht von „empathischer Kurzsichtigkeit“, will sagen, viele Menschen verlieren sobald sie online sind, das Gefühl dafür, welche Wirkung die eigene Äußerung auf das Gegenüber hat. (Petra Grimm https://www.goethe.de/de/kul/med/20622319.html)  Bisher brauchte man auch keine Konsequenzen zu befürchten.
„Hass im Netz hat Angst und Gewalt zur Folge“ sagt Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung. www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw07-konferenz-hass/491806.
Rechtsextreme und ausländerfeindliche Hetze im Internet hat dramatisch zugenommen. Jugendschutz.net dokumentierte schon 2014 über 1.400 rechtslastiger Sites de.statista.com/graphic/1/164056/deutschsprachige-rechtsextreme-seiten-im-internet.jpg.
Die Zahl der "mittels Internet" begangenen Volksverhetzungen und Gewaltdarstellungen ist 2015 auf 2300 gestiegen; im Jahr davor waren es gerade einmal 500. www.sueddeutsche.de/politik/bundesamt-fuer-justiz-auslaenderfeindliche-hetze-im-internet-nimmt-dramatisch-zu-1.3268733  
„Nirgendwo sonst kann in so hoher Zahl offen fremdenfeindliche, antisemitische und islamfeindliche Hetze gefunden werden“ wie im Internet heißt es im Verfassungsschutzbericht 2014 (S.42) https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2014.pdf.
Parallel zur Zunahme der Hetze hat auch die Gesamtzahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten ist im Jahr 2015 mit 21.933 und die Zahl der Gewalttaten mit 1.408 gegenüber dem Vorjahr enorm angestiegen. Dies entspricht einem Anstieg der Gewalttaten um 42,2 %. Wie bereits im Vorjahr handelte es sich ganz überwiegend um Körperverletzungsdelikte https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-rechtsextremismus/zahlen-und-fakten-rechtsextremismus/zuf-re-2015-straf-und-gewalttaten .
Verbale und körperliche Attacken gehören mittlerweile auch zum Berufsalltag von Journalisten. https://ekvv.uni-bielefeld.de/blog/uniaktuell/entry/studie_zeigt_journalisten_sind_hass .
Der schnelle Aufstieg der AfD wäre ohne das Medium Internet nicht zu erklären, meint Justus Bender in seinem Buch "Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland"
www.swr.de/swr2/kulturinfo/waswilldieafd//id=9597116/did=19092126/nid=9597116/643e9s/index.html)
Bei Pegida-Demonstrationen haben sich bisher im Höchstfall zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend sog. „Spaziergänger“ versammelt, die Pegida-Seite auf Facebook hat jedoch über 200.000 „Likes“ https://netzpolitik.org/2016/fluechtlingspolitik-im-vordergrund-sz-analysiert-pegida-kommentare-bei-facebook/.
Nimmt man realistischer Weise an, dass diese Seite von vielen Besuchern mit „Freunden“ geteilt wird, so kommt man leicht auf eine halbe Million Menschen, die von dieser rechtspopulistischen Internetpräsenz erreicht wird.
(Vgl. dazu die Auswertung auf der offiziellen Facebook-Seite von Pegida im Auftrag der Süddeutschen Zeitung https://drive.google.com/file/d/0B9mLol0BxIQ_Z053SXZ6S2NVR3M/view?pref=2&pli=1 www.sueddeutsche.de/politik/facebook-auswertung-das-gefaehrliche-weltbild-von-pegida-1.2835993)
Die Site der AfD hat über 300.000 Follower, mehr als die SPD (120.000) und die CDU (130.000) zusammen. In Frankreich hatte Marine Le Pen die zehnfache Zahl an Followern gegenüber François Hollande.
(Andreas Zielcke, Süddeutsche Zeitung www.sueddeutsche.de/digital/soziale-medien-entwirklichung-1.3296096)   
Trump mag in seinem Wahlkampf viele Übertreibungen und sogar glatte Lügen eingesetzt haben, aber eine seiner Aussagen, sollte man wirklich ernst nehmen. Seinen Erfolg verdanke er Facebook und Twitter, mehr noch (Zitat): „Ich glaube, dass soziale Medien mehr Macht haben als Werbegelder“. Trumps Sprecher Sean Spicer behauptet, dass mehr als 45 Millionen Menschen dem jetzigen Präsidenten in den sozialen Netzwerken folgten (KSt-A v. 3.01.2017 S. 6; Bild 16.01.2017 S. 3;
Hillary Clinton hatte angeblich nur 9,9 Millionen Follower. https://downloadzdf-a.akamaihd.net/mp4/zdf/16/11/161109_alles_nur_luege_zom/3/161109_alles_nur_luege_zom_476k_p9v13.mp4; amerikanische Forscher bezweifeln allerdings den Einfluss von Social Media auf die US-Wahlen web.stanford.edu/~gentzkow/research/fakenews.pdf )
Ob der Einsatz der Datenanalysefirma „Cambridge Analytica“ https://cambridgeanalytica.org/, die auf der Basis von im Netz erhobenen Daten personalisierte bzw. zielgruppenorientierte Werbung anbietet, sich für Trump tatsächlich bezahlt machte oder ob hinter den Aufsehen erregenden Schlagzeilen nur Eigenwerbung der britischen Firmenmanager steht, wird sich erst noch erweisen müssen https://www.dasmagazin.ch/2016/12/03/ich-habe-nur-gezeigt-dass-es-die-bombe-gibt/
Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass diese Firma über Facebook an die Daten von mehr als 87 Mio. Menschen gelangt ist – ohne dass dies den Betroffenen bekannt wurde.
Ob russische Hacker oder von Russland gesteuerte „Trolls“ oder „Fake-News“ Einfluss auf das Wahlergebnis zugunsten von Trump hatten und ob Putin Trump  tatsächlich geholfen hat, wie etwa die FAZ vom 11.12. 2016 unter Bezugnahme auf Berichte amerikanischer Zeitungen raunte
(Siehe Washington Post https://www.washingtonpost.com/business/economy/russian-propaganda-effort-helped-spread-fake-news-during-election-experts-say/2016/11/24/793903b6-8a40-4ca9-b712-716af66098fe_story.html?utm_term=.366858c92964 und New York Times www.nytimes.com/2016/12/13/us/politics/russia-hack-election-dnc.html, wird man erst beurteilen können, wenn genauere Angaben über das „Wie“ solcher angeblichen Cyberkampagnen öffentlich werden. Derzeit liegt der Verdacht nahe, dass es sich bei den gegenseitigen Beschuldigungen eher um Ablenkungsmanöver oder Angstmache der jeweiligen Geheimdienste handelt.
Man liegt aber sicherlich mit der Vermutung nicht ganz falsch, dass Trumps Wahlkampfstil in den sozialen Medien ein besonders geeignetes Kommunikationsmittel gefunden hat. www.sueddeutsche.de/politik/facebook-die-praesidenten-macher-1.3254431 Die Aufnahmebereitschaft für demagogische Parolen scheint groß zu sein. Es galt wohl das Prinzip: „Egal ob Trump die Wahrheit sagt, Hauptsache er hat recht!“ (Siehe die Karikatur von Jan Rieckhoff in der Süddeutschen Zeitung vom 16. 12. 2016, S. 13) Fake News Meldungen auf Facebook oder die Website ETFnews endingthefed.com (bekannt durch die Falschmeldung: „Hillary verkaufte Waffen an den IS“)  wurden im amerikanischen Wahlkampf beliebter und lösten mehr Interaktionen aus als die Meldungen von New York Times oder Washington Post.
www.sueddeutsche.de/digital/us-wahl-fake-news-sind-auf-facebook-erfolgreicher-als-serioese-nachrichten-1.3254016.
Wie sehr die klassischen Medien geradezu an die Wand gedrängt werden können, das zeigt uns erneut Donald Trump. Er kann die Journalisten beschimpfen und ihnen ihre Hilflosigkeit demonstrieren, indem er ganz selten Pressekonferenzen einberuft oder Interviews gibt, sondern sich im Wesentlichen über Twitter oder über YouTube-Videos - dem „Trump Transition Video“ - ohne einen „journalistischen Filter“ an die Öffentlichkeit wendet. Und mangels Alternativen, werden diese Botschaften auch von den etablierten Medien aufgegriffen. Originalton Trump in der Bild-Zeitung: „Die  Presse berichtet so unehrlich über mich – so unehrlich -, dass ich mich über Twitter äußere... und sie veröffentlichen es, sobald ich es twittere...“
(Bild-Interveiw vom 16.01.2017, S. 3)
Nicht ganz zu unrecht schreibt Sascha Lobo: spätestens mit Trump müsse man zugeben: „Egal wie plump oder menschenfeindlich es wirkt oder ist - die Rechten haben sehr viel besser verstanden, wie Social Media funktioniert. Und das ist die fatalste Wirkung der sozialen Medien auf Wahlen.“ www.spiegel.de/netzwelt/web/fuenf-arten-wie-soziale-medien-wahlbeeinflussen-kolumne-a-1121577.html
Die Tatsache, dass das Internet und Internetdienste Datenlieferanten über die Nutzer sind (die an Hand des Such- und Nutzungsverhaltens besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich weiß - jedenfalls als man sich bewusst macht), kann eben nicht nur von Waren- oder Dienstleistungsanbietern genutzt werden, sondern auch von Meinungsmachern ganz allgemein und speziell von gesellschaftlichen Interessengruppen und politischen Lagern bzw. Parteien, die bewusst eine politische Agenda voranbringen wollen, ausgebeutet werden.

Das Internet kann so zu einem Einfallstor für Manipulateure und für Meinungsbeeinflusser werden – nicht ohne Grund spricht man von „influencern“. Werbetreibende und Propagandaagenturen, senden inzwischen nicht nur einzelne Informationen aus, sondern nutzen sog. „Social-Media-Tools“, um ihre Produkte oder ihre Botschaften im Netz zu verbreiten.
Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist der relativ preiswerte likeskaufen.eu/de/  Kauf von „Likes“ auf Facebook  https://fanpage-likes-kaufen.eu/. Computerprogramme wie „FaceDominator“ etwa bedienen Facebook-Profile selbsttätig. Sie markieren Seiten mit „Gefällt mir“, fügen Freunde hinzu oder veröffentlichen Beiträge. Das Programm kann anhand von E-Mail-Adressen oder Telefonnummern auch Nutzer auf Facebook finden und diese als Freunde hinzufügen.
Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook müsste man zwar als Nutzer seinen Klarnamen verwenden. Ein Account mit einem Phantasienamen verstieße danach gegen die Facebook-Regeln, doch das wird nicht konsequent überprüft, Millionen Nutzer sind auf dem Netzwerk unter abgeänderten Namen oder Phantasie-Identitäten unterwegs. (Justus Bender/Marvin Opping in der FAZ www.faz.net/aktuell/politik/digitaler-wahlkampf-frauke-petry-und-die-bots-14863763.html)
Neben sog. „Trollen“, also problematische Netzteilnehmer https://www.welt.de/wirtschaft/article162014537/Um-diese-Zeit-erwacht-der-digitale-Hetzer-in-uns.html , die sich In Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und die Online-Community stören, provozieren, Hass schüren oder in eine bestimmte politische Richtung zu lenken versuchen, sind inzwischen im Internet auch professionelle Trollaktivitäten zu beobachten, die massive politische Propaganda betreiben.

Es gibt automatisierte „Trolls“, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten (Robots), die in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen.
Es gibt  “Social Bots“ oder „Chatbots“. (Siehe dazu auch ZDFzoom „Alles Lüge“ https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/zdfzoom-alles-nur-luege-100.html)

Diese „können gesellschaftliche Debatten durch ihre schiere Masse bestimmen und in eine gewünschte Richtung lenken“, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science www.netzpiloten.de/social-media-bots-trolle-trends/.
Wer die Hashtag-Trends bestimmt, nimmt Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs.

Wenn z.B. plötzliche Themen wie Hashtag #unsereLisa www.sz-online.de/nachrichten/der-fall-lisa-f-und-russische-medien-3307759.html , wonach eine 13-jährige Russlanddeutsche von Flüchtlingen als Sexsklavin missbraucht worden sei, in den Vordergrund rücken, dann liegt das daran, dass sogar hochrangige Politiker wie der russische Außenminister Sergej Lawrow, aber auch Journalisten Social-Media-Trends folgen. www.netzpiloten.de/social-media-bots-trolle-trends/

Das „Social Media Forensics“-Team der Uni Siegen hat ein ganzes Netz an Bots und Trollen entlarvt, das während der Ukraine-Krise täglich massiv Bot-Meldungen verbreitete. Bots konnten an einem Tag etwa 15.000 falsche Twitterprofile bis zu 60.000 gefakte Posts verbreiten. www.,netzpiloten.de/social-media-bots-trolle-trends/

Die Manipulateure wissen, dass Politiker als auch Journalisten sich auf die Trendanalysen der sozialen Medien stützen, um herauszufinden, welche Themen die Menschen im Moment bewegen oder wie die Stimmung im Land aussieht.

US-Geheimdienste sollen ein sog. „Persona-Projekt“ in Auftrag gegeben haben, ein Konzept nach dem ein ganzes Heer von Identitäten in Foren, Blogs und sozialen Netzwerken interagieren können und den Eindruck erwecken, als handle es sich um eine große Zahl von Nutzern, die eine bestimmte Meinung vertreten  www.dailykos.com/story/2011/02/16/945768/-UPDATED:-The-HB-Gary-Email-That-Should-Concern-Us-All. Auch der britische Geheimdienst betreibt PR-Arbeit in Internetforen. Und der selbsternannte „Islamische Staat“ nutzt Bots. www.nachdenkseiten.de

Es wird von israelischen, www.haaretz.com/israel-news/.premium-1.541142 , nordkoreanischen www.spiegel.de/netzwelt/web/propaganda-im-netz-nordkorea-schickt-trolle-in-den-sueden-a-916936.html propagandistischen Foren-Trollen oder von russischen „Kreml Troll Armeen“ berichtet. https://en.wikipedia.org/wiki/Trolls_from_Olgino Nach wie vor gibt es die Vermutung, dass Hacker und bezahlte russische „Trollfabriken“ www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/russische-trollfabrik-eine-insiderin-berichtet-a-1036139.html versucht hätten, den US-Wahlkampf zu beeinflussen. www.zeit.de/politik/ausland/2017-01/us-geheimdienst-russland-wladimir-putin-donald-trump-wahlbeeinflussung/seite-2.

Der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz haben im Auftrag der Kanzlerin ein Jahr lang nach eindeutigen Beweisen für politische Einmischung Russlands in Deutschland gesucht, aber – wie es hieß -  „keine Smoking Gun gefunden" meinen Georg Mascolo und Nicolas Richter in der Süddeutschen.
www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienste-bnd-keine-beweise-fuer-desinformations-kampagne-putins-1.3365839)
Ganz allgemein meint Lorraine Daston, die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte: „Das Internet wird zur Spielwiese derer, die das meiste Geld haben. Sehen Sie sich Einträge umstrittener Personen auf Wikipedia an. Da schreibt jemand einen Text – und dann wird er umgeschrieben, abgeändert, von jenen Kräften, die ein starkes ideologisches Interesse sowie Zeit und Geld haben. Am Schluss gewinnt die Kraft mit dem meisten Geld oder der größten Sturheit. Das ist weder im Interesse der Öffentlichkeit noch der Wahrheit.“ www.tagesanzeiger.ch/wissen/geschichte/Bauchgefuehl-ist-nicht-Wahrheit/story/26027334
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Was tun?
Viele Fragen der Mediennutzung und des Einflusses der digitalen und der analogen Medien sind ungeklärt und bedürften dringend der weiteren wissenschaftlichen Analyse, schreibt die NRW-Landesanstalt für Medien. (Siehe dazu LfM a.a.O. S. 58ff.)
Man müsste genauer erforschen, wie die digitale Gesellschaft funktioniert.
Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut und Birgit Stark vom Institut für Publizistik an der Universität Mainz haben in einer Untersuchung die Vorstellung eines Filterblasen-Effektes auf Facebook relativiert:
Von 355 über 14 Tage lang befragten Personen hätten 69 Prozent Offline-Medien – also Rundfunk oder Zeitungen - als besonders maßgebend für ihre Meinungsbildung bezeichnet, 59 Prozent das Internet allgemein mit verschiedenen etablierten Nachrichtenmagazinen und weiteren Ablegern traditionellen Medien, 52 Prozent persönliche Gespräche. Google und Facebook folgten mit deutlichem Abstand mit 34 beziehungsweise 18 Prozent als maßgebliche Meinungsbildner.
Auch andere Forschungsergebnisse relativieren den Echo-Kammer-Effekt. www.goldmedia.com/blog/2017/12/trendmonitor-2018-mythos-filterblase-die-bubble-ist-bereits-geplatzt/
Als wichtige Informationsquelle hätten Facebook 13,5 Prozent zu Flüchtlingen, 5,7 Prozent zur AfD eingestuft. Parallel erschien 13,6 beziehungsweise 7,1 Prozent der Befragten das soziale Netzwerk aber als unwesentlich bei beiden Themen. Stefan Krempl https://www.heise.de/newsticker/meldung/Medienwaechter-wollen-schaerfer-gegen-Fake-News-und-Hate-Speech-vorgehen-3647936.html )
Der Politikberater Julius von de Laar, der die Wahlkämpfe Obamas begleitete, wiederum berichtete vom mobilisierenden Effekt von Filterblasen  www.lfm-nrw.de/service/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2017/2017/maerz/politische-meinungsbildung-in-zeiten-von-fake-news.html. Mit den Lösungsansätzen befindet man sich vielfach noch im Merkelschen „Neuland“.

Die aufgezeigten Probleme müssen großteils letztlich in den Köpfen der Menschen gelöst werden. Jedes neue Medium hat eine Phase des Experiments und der Anarchie durchlaufen.
Das, was eine demokratische Kultur ausmacht, nämlich eine an Tatsachen orientierte öffentliche Diskussion, der offene und täuschungsfreie Austausch rationaler Argumente, das abgewogene Urteil, die Verbreitung einer möglichst großen Vielfalt von Meinungen und deren öffentlicher Austausch (also der verständigungsorientierte Diskurs) zur Förderung von vernunftgeleitetem Denken und (politischem) Handeln in der Gesellschaft, all das ist mit den 140 Zeichen eines Tweets unmöglich oder findet über einen Web-Chat höchst selten statt.
Dem Ideal einer vielfältigen (basisdemokratischen) Internetkommunikation und der Partizipation durch „Social Media“ steht die Fragmentierung der Öffentlichkeit in „homogenisierten Echokammern“ als Teilöffentlichkeiten gegenüber.

Die Kernfrage ist, wie kann man „Fairness und Verantwortlichkeit ins das Zeitalter der Daten bringen“ (Cathy O`Neil a.a.O.)

Gegen die Fragmentierung schützt Pluralität der öffentlichen Meinung.
(Sascha Lobo https://buggisch.wordpress.com/2017/02/14/filterblase-2-diagnose-im-bundestag/ und hier www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw07-konferenz-hass/491806 )

Selbst Facebook-Chef Mark Zuckerberg macht sich inzwischen Gedanken darüber, wie es gelingen kann, unterschiedliche Sichtweisen so aufzubereiten, dass die Menschen miteinander wieder in Dialog kommen und andere Meinungen akzeptieren, statt sich in ihrer eigenen Gedankenwelt abzukapseln (Daniel Baumann in der FR. www.fr.de/politik/mark-zuckerberg-weltpolitik-gefaellt-mir-a-887228

Doch die Rezeption unterschiedlicher und vielfältiger Meinungen lässt sich nicht verordnen, andere Ansichten zu ertragen und den Diskurs zu pflegen ist eine Frage einer gesellschaftlichen Kultur der Offenheit und des „Muts zur Aufklärung“. Jeder und jede einzelne kann zunächst einmal nur selbst sein Mediennutzungsverhalten prüfen, die Strukturen und Mechanismen, die hinter den von einem selbst genutzten Medien herrschen reflektieren und die Informationsquellen kritisch bewerten.  

Es bedarf einer Entzauberung des Internets und einer Verbesserung der allgemeinen Kenntnisse über die Funktionsweise der Internetkommunikation, wie „Trending Topics“, „Memes“, „Newsfeed“ etc. entstehen und wie manipuliert werden kann. Die Ideale des Journalismus sollten Bestandteil von Allgemeinbildung werden.

Dazu gehört, den Lernstoff „Internetverhalten“ in die Lehrpläne aufzunehmen. Dazu müssten Medienpädagoginn/en ihre eigene Disziplin, sowie Haltungen und Arbeitsweisen überprüfen und verändern, meint Kristin Narr von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK). https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/242599/technik-kritik-methodik-herausforderungen-an-medienpaedagogik-heute?pk_campaign=nl2017-03-08&pk_kwd=242599.

Unter dem Motto „Dagegenhalten“ hatte Manuela Schwesig noch als Bundesfamilienministerin ein Bundesprogramm „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ aufgelegt. Für dieses Projekt zur Stärkung der Medienkompetenz sind für das laufende Jahr 104 Millionen Euro vorgesehen.

Den Themen in den Echo-Kammern müssten sich auch etablierte Medien annehmen und sie dem öffentlichen Diskurs zuführen.
Gegenwärtig beobachten wir noch viel zu häufig Abgrenzungshaltungen sowohl auf Seiten der klassischen Medien als auch auf Seiten der Netz-Community.
Politiker und die etablierten Medien stehen dabei in der Pflicht sich den Themen in den Echokammern anzunehmen und sie in den öffentlichen Diskurs einzuführen und zu diskutieren. Dass „im Netz“ diskutierte Themen zu selten aufgegriffen werden und überwiegend das heimliche Gesetz der „diskussionslosen Geschlossenheit“ (Thomas Leif, Die Zeit v. 31. Dezember 2016 www.zeit.de/politik/2016-12/politikverdrossenheit-demokratie-debatte-entfremdung-waehler-populismus) gilt, dadurch entstehen innerhalb der Netz-Communities Abwehr- und Abgrenzungshaltungen gegenüber den etablierten Medien und der Politik.

Um die „Filterblasen“, die vor allem auch die durch die intransparenten Such-Algorithmen entstehen, platzen zu lassen, und die Kommunikationsräume zu verbinden, könnte man daran denken, die digitalen Parallelgesellschaften in der Hand privater amerikanischer Oligopolisten, die vor allem durch Werbung und den Verkauf von Daten ihren Profit mehren, durch ein (europäisches oder wenigstens deutsches) gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Facebook, Whats-App oder eine vergleichbare öffentlich-rechtliche Plattform zu betreiben.

Statt eines Rundfunkbeitrages würde dann eine Mediengebühr erhoben. Der große Vorteil wäre, dass die Algorithmen transparent und die Inhalte nicht werbegesteuert wären, im Netz zum Dialog angeregt werden könnte und die Teilnehmer Datensicherheit und Datenschutz genießen würden.
(Siehe dazu auch Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Zeiten der Digitalisierung der Medien, ARD www.ard.de/download/3732860/Auftrag_und_Strukturoptimierung_der_oeffentlich_rechtlichen_Anstalten_in_Zeiten_der_Digitalisierung_der_Medien.pdf )

Man könnte etwa über einen von ZDF, ARD, BBC etc. betriebenen Youtube-Kanal nachdenken, der sämtliche Programmarchive bereitstellte. Außerdem könnten man die selektive Wahrnehmung durch systematische Angebote von alternativen bzw. kontroversen Positionen aufbrechen.

Der Chef der sachsen-anhaltinischen Staatskanzlei, Rainer Robra, hat vorgeschlagen, dass sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durch eine Änderung des Telemedienauftrags auch auf Twitter betätigen können sollten und zwar mit Fakten und redaktionell verantwortet.  

www.medienpolitik.net/2017/02/rundfunk-oeffentlich-rechtlicher-rundfunk-auf-dem-pruefstand/.

Der Zugang zum Internet ist derzeit jedoch den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten weitgehend versperrt. Nach dem geltenden Medienstaatsvertrag dürfen sie nur „sendungsbezogene“ und „nicht presseähnliche“ Angebote ins Internet stellen. Außerdem besteht ein Lösch- oder wie es absurderweise heißt – ein Depublikationsgebot. Was längere Zeit im Netz gezeigt werden darf, bedarf eines aufwändigen sog. Dreistufentestverfahrens.

Die Zeitungsverleger wehren sich massiv gegen eine Internetpräsenz des - wie der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Mathias Döpfner polemisierte -„Staatsfunks“ im Netz. Die Verleger fürchten um ihre Werbeeinnahmen und merken gar nicht, dass Facebook und Co. ihre Hauptkonkurrenten auf dem Werbemarkt sind und nicht der Rundfunk.

Ein „öffentlich-rechtliches Internet“ stellte jedoch nach gegenwärtiger europäischer Rechtslage wohl eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe gegenüber Facebook et. al.
dar. Mit diesem Einwand bleibt allerdings völlig außer Acht, dass bisher private Oligopole einen immer größer werdenden Teil dessen kontrollieren, was man Öffentlichkeit nennt
(Vgl. dazu Thomas Wagner, Das Netz in unsere Hand, S. 151 ff. dazu auch „Daten in Bürgerhand“ https://www.jungewelt.de/artikel/304438.daten-in-b%C3%BCrgerhand.html. Man könnte allerdings die Beihilfeproblematik zumindest auf europäischer Ebene umgehen, indem man eine Mediengebühr auf europäischer Ebene einführte (Christian Fuchs, Falter 27a/16 S. 29ff. (33))

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Bei allem, was es Positives und Fortschrittliches im Netz gibt, kann die Gesetzlosigkeit des Internets skrupellos missbraucht werden.

Es gibt Cyberangriffe durch Hacker oder Geheimdienste, es gibt Propagandakampagnen durch Trolls oder Robots, im Netz werden Hetze, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Hass und Lügen oder gezielte Falschmeldungen verbreitet, die eine große Gefahr für das friedliche Zusammenleben und für eine freie, vielfältige und demokratische Gesellschaft darstellen.

Es hat noch nie in der Geschichte ein Medium gegeben, das nicht reguliert wurde und für alle historisch bekannte Medien gab es Kontrollinstanzen. Warum sollte das bei einem so mächtigen, omnipräsenten, fortwirkenden und zunehmend unverzichtbaren Medium wie dem Internet nicht gelten?, meint Lorraine Daston, die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte.
www.tagesanzeiger.ch/wissen/geschichte/Bauchgefuehl-ist-nicht-Wahrheit/story/26027334

Eine Regulierung müsste jedoch das Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher individueller Meinungsfreiheit und staatlicher oder privater Zensur auflösen und darüber hinaus müsste sie ein hohes Maß an Datenschutz gewährleisten.
Der Kampf gegen Hate Speech und Fake News
Hinsichtlich der derzeit viel diskutierten Hassreden und Falschbehauptungen ist eine Differenzierung zwischen rechtsverletzenden und rechtmäßigen Inhalten zwingend erforderlich. Es geht also nicht um Verbote, Zensur oder Netzsperren, sondern um die Durchsetzung des geltenden Rechts und um die Verfolgung von Rechtsverletzungen. (Siehe dazu allgemein ein Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion www.spdfraktion.de/system/files/documents/20170307_positionspapier_fakenews_beschluss_spd-btf.pdf )  
Zivilrechtliche Unterlassungsansprüche bestehen gegen unwahre Tatsachenbehauptungen sofern sie sich gegen eine konkrete Person richten. Beleidigungen, Üble Nachrede, Verleumdungen, Volksverhetzung sind strafbewehrt.

Verschwörungstheorien ganz allgemein sind schwer aus der Welt zu schaffen, sofern diese allerdings Unternehmen oder konkrete Personen betreffen, können diese sich dagegen wehren, wenn sie das Gegenteil beweisen können. Auch gegen Falschbehauptungen mit wirtschaftlichem Hintergrund bestehen Unterlassungsansprüche.

Falschbehauptungen zur politischen Stimmungsmache und Propaganda sind derzeit gesetzlich nicht erfasst. Juristische Regelungen dürften auch kaum möglich sein, da sie eine Art Wahrheitskommission voraussetzten. Schon gar nicht, darf nach dem Zensurverbot des Grundgesetzes der Staat Nachrichten vorab überprüfen und sperren können. Es gibt im Übrigen genügend Beispiele dafür, dass auch die offizielle Politik sind nicht immer an die Wahrheit hält.

Ein Großteil dessen was derzeit unter den Themen Hassreden und Falschbehauptungen diskutiert wird, könnte durch eine schärfere Anwendung der bestehenden Gesetze und besser geschulten Strafverfolgungsbehörden bekämpft werden. https://www.wbs-law.de/internetrecht/fake-news-gibt-es-aus-juristischer-sicht-nicht-neue-gesetze-sind-nicht-erforderlich-meint-ra-christian-solmecke-71023/  

Die Probleme bestanden bisher darin, dass die „Sozialen Medien“ unzureichend in die Pflicht genommen werden können und dass private Unternehmen wie Facebook, Twitter, Google oder YouTube zu „Richtern über die Meinungsfreiheit“ geworden sind.

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Falsche Tatsachenbehauptungen, Fake News oder ganz allgemein Lügen, ja sogar Hass sind, sofern sie sich nicht gegen eine konkrete Person oder ein Unternehmen richten, nicht strafbar oder zivilrechtlich zu untersagen.
Es gibt eine Schwemme an Vorschlägen zur Lösung des Problems: In Italien gibt es den Vorschlag Expertenkommissionen zu bilden, die über den Wahrheitsgehalt von Nachrichten urteilen (ein Vorschlag von Italiens oberstem Kartellwächter); Evgeny Morozov – der Internetpapst - schlägt Zentren zur Bekämpfung von Fake News vor. www.sueddeutsche.de/digital/facebook-und-google-fake-news-sind-ein-symptom-des-digitalen-kapitalismus-1.3337982.
Mit Ausrufung des Ausnahmezustandes nach den Terror-Anschlägen hat die französische Regierung den Zugriff auf 834 Webseiten unterbunden und 1.929 Suchergebnisse aus Suchmaschinen nehmen lassen, auch Beiträge auf Facebook und Twitter wurden gelöscht. https://netzpolitik.org/2017/internetzensur-in-frankreich-2016-stark-angestiegen/.
Ende Mai treten in der EU neue Datenschutzregeln in Kraft. Die Regelung verlangt, dass Nutzerdaten nur zu festgelegten Zwecken erhoben und verwendet werden dürfen und Anwender dem ausdrücklich zustimmen müssen. Sie schafft neue Klagemöglichkeiten für Betroffene. Die Unternehmen müssen bei Verstößen mit hohen Strafen rechnen.
Unterhalb staatlicher Eingriffe gab eine Fülle von Initiativen gegen Hasskommentare und Falschbehauptungen. Hier nur einige Beispiele:
-    so gibt es etwa eine No-Hate-Kampagne wie etwa www.hoaxmap.org.
-    auf der Facebook-Homepage der Stiftung Warentest wird www.fnp.de/nachrichten/panorama/Stiftung-Warentest-warnt-vor-Online-Trollen-und-erntet-Shitstorm;art685,2016057, unter dem Motto „Gesicht zeigen, Kante zeigen, Authentizität“ wird „Debunking“, also  aktives Entlarven von Falschmeldungen betrieben und angeleitet,
-    auf der Ebene des Europarats hat sich eine „NoHate Parlamtary Alliance“ https://no-hate-speech.de/ gegründet, deren Mitglieder sich verpflichten, „offen, uneingeschränkt und proaktiv Stellung gegen Rassismus, Hass und Intoleranz“ website-pace.net/documents/19879/2555096/20161205-NHPACharter-GE.pdf/f38bafbf-07a7-4f07-abb3-ee68486735f6 einzutreten
-    die Facebook-Gruppe „Nothing but the Truth“ geht Verschwörungstheorien nach  https://www.facebook.com/groups/307109539428385/
-    vor zwei Jahren hat sich eine „Reporterfabrik“ Correctiv gegründet, die journalistisch gegen Desinformation angeht https://correctiv.org/blog/2017/01/15/reporterfabrik-gegruendet/
-    Eine Facebook-Gruppe "ichbinhier" (derzeit 8.000 Mitglieder) hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen bei Facebook zu helfen, die von Schmähungen und Beleidigungen überrollt werden, www.jetzt.de/politik/facebook-gruppe-ichbinhier-kaempft-gegen-hetzte
-    es gibt eine Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e. V.), die sich mit Jugendmedienschutz in Onlinemedien befasst,
-    das ZDF hat das Projekt #ZDFcheck17 gestartet und die ARD hat den sog. „Faktenfinder“ gegründet. Sie sollen zweifelhafte nachrichtenrelevante Meldungen aufspüren (Sebastian Jannasch in der Süddeutschen Zeitung vom 27.02. S. 23), Ähnliches plant der Bayerische Rundfunk,
-    Union und SPD haben den Vorschlag gemacht, einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch auf Klarnamen (Aufhebung der Anonymität) bei Persönlichkeitsverletzungen einzuführen. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Fake-News-und-Hass-SPD-will-Auskunftsanspruch-gegen-Facebook-Co-3648595.html   
Was ist dann aber mit Whistleblowern?),

Das sind nur einige der vielen Initiativen.
-    die Washington Post überprüft und kommentiert laufend Twitter-Tweets meedia.de/2016/12/19/trump-und-twitter-faktencheck-app-der-washington-post-prueft-donald-trumps-tweets-auf-wahrheitsgehalt/
-    es wird ein Gütesiegel für geprüfte Information angeregt,
-    Mit dem vom Institut für Europäische Politik (IEP) in Kooperation mit dem Progressiven Zentrum (DPZ) konzipierten Projekt „TruLies Europe - The Truth about Lies on Europe“ soll in aufklärendem Sinne zur Versachlichung der europapolitischen Debatte in Deutschland beigetragen werden trulies-europe.de
-    Das EU-Parlament ist mit einer “Digitalen Charta” befasst https://www.heise.de/tp/features/Neuer-ETSI-Standard-sieht-Social-Media-Schnittstelle-zum-Datenabgriff-durch-Behoerden-vor-3588568.html

Die Frage ist, ob solche aufklärerischen Initiativen nicht vergebene Liebesmühen sind. Eine erst im März dieses Jahres veröffentlichte Studie des MIT hat die Verbreitung von sämtlichen verifiziert wahren und falschen über Twitter verbreiteten Nachrichten von 2006 bis 2017 untersucht und herausgefunden, dass Fake News sich weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen.
(significantly farther, faster, deeper, and
more broadly than the truth in all categories of information)
- Falschmeldungen werden doppelt so häufig geteilt und haben eine um 70% größere Chance der Verbreitung als normale Nachrichten.
We investigated the differential diffusion of all of the verified true and false news stories
distributed on Twitter from 2006 to 2017.The data comprise ~126,000 stories tweeted by
~3 million people more than 4.5 million times.We classified news as true or false using
information from six independent fact-checking organizations that exhibited 95 to 98%
agreement on the classifications. Falsehood diffused significantly farther, faster, deeper, and
more broadly than the truth in all categories of information, and the effects were more
pronounced for false political news than for false news about terrorism, natural disasters,
science, urban legends, or financial information.We found that false news was more novel than
true news, which suggests that people were more likely to share novel information.Whereas
false stories inspired fear, disgust, and surprise in replies, true stories inspired anticipation,
sadness, joy, and trust. Contrary to conventional wisdom, robots accelerated the spread
of true and false news at the same rate, implying that false news spreads more than the truth
because humans, not robots, are more likely to spread it.

Was tun die Dienste selbst?
Twitter und Google (mit „Google Perspektive“ https://www.golem.de/news/perspective-google-hilft-forentrolle-zu-erkennen-1702-126336.html ) versprechen Software einzusetzen, um „Social Bots“ oder „Hate Speech“ abzuwehren oder heraus zu filtern. Facebook handelt bislang nach dem „Notice and take down“-Prinzip www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/prozess-um-merkel-selfie-syrischer-fluechtling-scheitert-mit-klage-gegen-facebook/19482180.html.
Mark Zuckerberg versprach eine Strategie gegen gefälschte Nachrichten. Zwar seien „mehr als 99 Prozent des Contents, den Leute auf Facebook sehen, echt“ www.sueddeutsche.de/digital/mark-zuckerberg-mehr-als-prozent-des-contents-den-leute-auf-facebook-sehen-ist-echt-1.3247625 , er wolle mit Experten zusammenarbeiten, um Fake News besser automatisch zu erkennen. (Matthias Huber www.sueddeutsche.de/digital/facebook-zuckerberg-verspricht-massnahmen-gegen-fake-news-1.3257346 siehe auch Facebook stellt Pilotprojekt gegen Fake News vor  www.sueddeutsche.de/digital/soziales-netzwerk-facebook-stellt-pilotprojekt-gegen-fake-news-vor-1.3297510). Falls gehäuft Beschwerden eingehen, will Facebook die Meldungen durch ein „Fact Checkers“- Netzwerk von Zeitungsredaktionen überprüfen lassen www.poynter.org/fact-checkers-code-of-principles/ .  In Deutschland will Facebook eine Kooperation mit Journalisten aufbauen, damit sollen solide Daten gegen Falschnachrichten gestellt werden. Darüber hinaus macht sich Zuckerberg Gedanken darüber, wie es gelingen kann, unterschiedliche Sichtweisen so aufzubereiten, dass die Menschen miteinander wieder in Dialog kommen und andere Meinungen akzeptieren, statt sich in ihrer eigenen Gedankenwelt abzukapseln.
Zuckerberg sieht sich offenbar derart in die Enge gedrängt dass er letztes Jahr mit einem Manifest unter dem Titel „Building Global Community“ an die 2,1 Milliarden Facebook-Nutzer wandte https://www.facebook.com/notes/mark-zuckerberg/building-global-community/10154544292806634. „The most important thing we at Facebook can do is develop the social infrastructure to give people the power to build a global community that works for all of us“, verkündete er großspurig.
Konkret wolle er mit Facebook erreichen, dass die demokratischen Institutionen gestärkt und Menschen besser vor Kriminalität oder Naturgewalten geschützt werden. Er bietet Facebook als Betriebssystem dafür an, dass Menschen besser informiert sind, sich zivilgesellschaftlich stärker engagieren und lokale, nationale und globale Werte gestärkt werden. (Daniel Baumann in der FR www.fr.de/politik/mark-zuckerberg-weltpolitik-gefaellt-mir-a-887228 ).
Kritiker sehen in diesem Manifest ein „angsteinflößendes dystopisches Dokument“, Facebook strebe eine Art extra-territorialen Staat mit einer ungewählten Regierung an. www.fr.de/kultur/netz-tv-kritik-medien/netz/facebook-manifest-das-asoziale-netzwerk-a-1088498 .
Ob Zuckerberg sich Sorgen macht,
- dass sich über Facebook immer mehr gefälschte Nachrichten ausbreiten, dass ihm vorgeworfen wird,
- dass sein Unternehmen mit seinen Algorithmen die Wahlergebnisse beeinflusst habe oder
- ob er mit diesem Manifest nur gegen die rückläufige Nutzerzahl ankämpfen will oder
- ob er einmal mehr darüber hinwegtäuschen will, dass sein Unternehmen Steuern vermeidet so weit es die Steuerschlupflöcher zulasse  oder
- ob er gar in die Politik strebt,
ist eine offene Frage.

Wie hochtrabend Zuckerberg auch immer die Community-Ziele von Facebook auch formuliert, unser deutscher Gemeinschaftsstandard darf nicht von privaten Konzernen, sondern er muss und darf nur durch unser Recht gesetzt werden.

Am 1. Januar 2018 trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (komplett: Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken) des damaligen Justizministers Heiko Maas in Kraft.
Die Anbieter sozialer Netzwerke, darunter Twitter, Facebook und YouTube, sind seitdem verpflichtet, "offensichtlich rechtswidrige Inhalte" innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte haben sie sieben Tage Zeit. Kommen die Betreiber ihren Pflichten systematisch nicht nach, drohen Bußgelder in Millionenhöhe.
Anleitungen zu schweren Straftaten, Volksverhetzung, die Verbreitung verbotener Symbole – das sind nur einige Beispiele für Beiträge, die nach dem NetzDG zu sperren sind. Wer es genau wissen will, findet im Gesetz: "Rechtswidrige Inhalte sind Inhalte, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen."

Fundamental neu ist: Mit diesem Gesetzentwurf, werden erstmalig die Internetunternehmen für die von ihnen verbreiteten Inhalte zur Verantwortung gezogen, wer auch immer der Absender der „Posts“ sein mag.
Die Gegner des NetzDG kritisieren, dass mit dem Gesetz die Rechtsdurchsetzung an private Unternehmen delegiert wird. Markus Beckedahl von netzpolitik.org sagte dazu: "Es überträgt denjenigen, die in ihrer Macht eigentlich beschränkt werden sollen, eine zentrale rechtsstaatliche Verantwortung." Die befürchtete Konsequenz ist, dass künftig mehr Inhalte gelöscht werden, die gar nicht gegen die erwähnten Paragrafen verstoßen. Vereinfacht gesagt: Um sich nicht strafbar zu machen und Bußgelder zahlen zu müssen, könnten die Unternehmen dazu tendieren, im Zweifelsfall lieber etwas mehr zu löschen als zu wenig.

Vor allem die Netzgemeinde schmähte Maas als "Zensurminister", aber auch politisch unverdächtige Rechtsexperten warnten vor dem Ende der Meinungsfreiheit im Netz. Alle im neuen Bundestag vertretenen Parteien wollen das Gesetz entweder überarbeiten oder abschaffen. So wird beispielsweise bemängelt, dass es keine Möglichkeit gibt, sich über womöglich unrechtmäßige Löschungen zu beschweren.

In den ersten 100 Tagen gingen beim Bundesamt für Justiz 253 Beschwerden ein - Heiko Maas hatte mit bis zu 25.000 im Jahr gerechnet. www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/100-tage-netzwerkdurchsetzungsgesetz-besuch-im-bundesministerium-fuer-justiz-a-1202836.html

Angeblich soll es inzwischen weltweit mehr als 100.000 Content Moderatoren, die die sozialen Netzwerke, mobile Apps und Cloud-Dienste sauber halten sollen.

Für Facebook sucht die Bertelsmann-Tochter Arvato nach verbotenen Inhalten – in Berlin sind es 700 Mitarbeiter und in Essen rund 500 Mitarbeiter. Im Sommer 2017 hatte Facebook verraten, dass alleine in Deutschland monatlich ungefähr 15.000 Posts wegen Hassreden gelöscht werden müssen. meedia.de/2018/02/15/facebook-polizei-bertelsmann-tochter-arvato-fahndet-fuer-us-plattform-auch-weiterhin-nach-verbotenen-inhalten/

Die taz hält die Gefahr privater Zensur für gering, da das geplante Gesetz eine Benachrichtigung des angeschwärzten Urhebers vorsieht und dieser gegen die Löschung klagen könne. Detlef Esslinger in der Süddeutschen Zeitung schreibt: Der Bundesjustizminister hat einen Anfang gemacht. Das ist allemal besser, als zuzusehen, wie die naiven Jungs aus Kalifornien sich am Gemeinwesen vergehen und es nicht einmal merken. www.sueddeutsche.de/politik/hasskommentare-es-reicht-facebook-1.3419237
Scharfe Kritik wird jedoch in Blogs geübt, so schreibt etwa Norbert Häring: „Das ist ein totalitäres Big-Brother-Gesetz... Hier dürfen sich die Anbieter aus dem Siliziumtal im Sprechen und Anwenden deutschen Rechts üben. Sie werden zu privaten Zensurgerichten, die statt ordentlicher Gerichte abwägen, ob hier die Meinungsfreiheit oder andere Belange überwiegen....“ norberthaering.de/de/27-german/news/798-trulies . Das geplante Gesetz würde Facebook zum Richter über die Meinungsfreiheit machen und eine ausgefeilte Zensurinfrastruktur etablieren. (Markus Reuter https://netzpolitik.org/2017/analyse-so-gefaehrlich-ist-das-neue-hate-speech-gesetz-fuer-die-meinungsfreiheit/)

Wirtschaftsministerin Zypries warnt vor unverhältnismäßigen Belastungen der europäischen Internet-Service-Provider und vor einer zu weitreichenden Regulierung der Internetplattformen. Sie schlägt ein „einheitliches europäisches Beschwerdeverfahren“ vorhttp://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/facebook-brigitte-zypries-warnt-vor-zu-strengen-regeln-wegen-fake-news-a-1137100.html.

Die Union fordert hingegen eine Verschärfung und eine Ausweitung auf Verletzungen des Urheberrechts. Die SPD-Fraktion zeigt sich mit dem Gesetzentwurf zufrieden. Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast, die unlängst selbst Opfer einer erfundenen Nachricht wurde https://www.tagesschau.de/inland/kuenast-strafanzeige-101.html ,  kritisiert, dass die Frage, wie im Netz mit Hass, Zersetzung oder Diskriminierung umgegangen werde, nicht angetippt sei.

Die Linke und die Piraten sehen in den Regelungen eine private Zensur bzw. eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Jan Korte von der Linkspartei plädiert für eine unabhängige Monitoringstelle zur Bewertung von Inhalten.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Kubicki verlangt zur Durchsetzung des Rechts mehr und ausreichend qualifiziertes Personal bei Strafverfolgungsbehörden und der Justiz.

Soweit der Stand der Debatte.

 

 

Wolfgang Lieb

Staatssekretär im Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalen a.D.

Ehemaliger Mitherausgeber der NachDenkSeiten